Wertedynamik und Konflikte: Wenn beide Seiten „recht“ haben
Wir alle kennen Konflikte, die sich festfahren.
Das Gespräch dreht sich im Kreis, die Argumente wiederholen sich – und je länger es dauert, desto sicherer ist jede Seite, dass sie auf der „richtigen“ Spur ist.
Am Ende wirkt es, als gäbe es nur Gewinner und Verlierer.
Oder einfach: Erschöpfte.
Doch ein Konflikt ist selten ein Kampf zwischen richtig und falsch.
Oft treffen hier zwei Wertewelten aufeinander, die beide gut gemeint sind.
Und genau das macht es so spannend – und manchmal anstrengend.
Das Wertemodell von Schulz von Thun hilft, diesen Knoten zu lösen.
Nicht, indem man Unterschiede wegdiskutiert – sondern indem man tiefer versteht, was beide Seiten schützen wollen.
Wertemodelle nach Schulz von Thun – kurz erklärt
Jeder Mensch hat Werte, die ihm wichtig sind.
Und Werte treten oft in komplementären Paaren auf.
Sie bilden Polaritäten:
- Freiheit ↔︎ Sicherheit
- Klarheit ↔︎ Zugewandtheit
- Innovation ↔︎ Stabilität
- Eigenverantwortung ↔︎ Gemeinschaft
Diese Werte stehen nicht gegeneinander.
Sie sind wie zwei Partner in einem Tanz.
Nur manchmal tanzen sie mit etwas zu viel Schwung.
In Konflikten passiert genau das:
Eine Seite betont ihren Wert stärker und steigert sich hinein.
Die andere Seite macht das Gleiche – nur auf der anderen Polseite.
Und plötzlich stehen nicht zwei Menschen gegenüber…
sondern zwei Werte in Überbetonung.
Warum Gegensätze sich ergänzen können
Wenn wir verstehen, dass hinter jeder Position eine wertvolle Absicht steckt, wird vieles leichter:
- Freiheit will Verantwortung ermöglichen.
- Sicherheit will Schutz ermöglichen.
- Innovation will Entwicklung ermöglichen.
- Stabilität will Verlässlichkeit ermöglichen.
Es gibt keine „bessere“ Seite.
Nur zwei Perspektiven, die zusammen ein vollständiges Bild ergeben.
Man könnte sagen:
Ein Konflikt zwischen zwei Werten ist keine Störung.
Er ist eine Einladung zur Balance.
Und genau hier beginnt Führung.
Ein Beispiel aus dem Team
Stellen wir uns eine Teamsituation vor:
Das Unternehmen befindet sich in einer Veränderungsphase.
Ein neues Produkt soll schneller auf den Markt gebracht werden.
Person A (nennen wir sie „Freiheit & Innovation“):
„Wir müssen mutig sein. Einfach ausprobieren. Tempo ist alles.“
Person B (nennen wir ihn „Sicherheit & Stabilität“):
„Wir brauchen erst eine solide Basis. Risiken müssen wir absichern. Qualität vor Geschwindigkeit.“
Wenn man nur die Argumente hört, sieht es aus wie eine klassische Meinungsverschiedenheit.
Aber unter der Oberfläche wirken zwei Wertewelten:
- Person A schützt Beweglichkeit & Gestaltungsfreiheit.
- Person B schützt Verlässlichkeit & Verantwortung.
Beide handeln aus Integrität.
Nicht aus Ego, Angst oder Rechthaberei.
Erst wenn das bewusst wird, entsteht Raum für etwas Neues.
Die Führungskraft kann dann sagen:
„Ich möchte kurz festhalten, dass ihr beide etwas Wichtiges schützt.
A setzt sich für Bewegung und Fortschritt ein.
B setzt sich für Tragfähigkeit und Qualität ein.
Beides ist notwendig, wenn wir nachhaltig erfolgreich sein wollen.
Lasst uns gemeinsam schauen, wie wir beides berücksichtigen.“
Zack.
Der Kampf verliert Energie.
Die Gesprächsatmosphäre weitet sich.
Nicht, weil wir einen Kompromiss erzwingen –
sondern weil wir die Absichten würdigen.
Handlungsimpuls: Die Meta-Ebene etablieren
Der entscheidende Schritt ist nicht, wer „recht hat“.
Sondern: Die Gesprächssituation auf eine höhere Ebene zu heben.
Also weg von:
„Du verstehst es nicht!“
„Doch, aber du hörst mir nicht zu!“
Hin zu:
„Was möchtest du schützen?“
„Was ist dir an dieser Position wichtig?“
„Wovor bewahrst du uns mit deinem Argument?“
„Welche Erfahrung oder Verantwortung steht dahinter?“
Das Gespräch wird erforschen statt verteidigen.
Wenn eine Führungskraft diesen Raum öffnet, passiert etwas Erstaunliches:
- Menschen fühlen sich gesehen.
- Die Dynamik wird weicher.
- Energie geht weg vom Kampf – hin zur Gestaltung.
- Und plötzlich tauchen Lösungen auf, die vorher unsichtbar waren.
Nicht, weil jemand nachgegeben hat.
Sondern weil man verstanden hat, was beide Seiten beitragen.
Wann Führung hier besonders gefragt ist
Genau an diesen Punkten zeigt sich, ob Führung:
- moderierend
- zugewandt
- klar
- und innerlich präsent handeln kann.
Denn:
Konflikte eskalieren selten, weil Menschen stur sind.
Sie eskalieren, weil Werte unbewusst bleiben.
Wenn Führungskräfte lernen, Werte sichtbar zu machen, entsteht Verbundenheit trotz Unterschied.
Das ist keine „weiche“ Kompetenz.
Das ist Kulturkompetenz.
Und sie wird in modernen Organisationen zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor.
Fazit
Konflikte sind selten „Probleme“, die beseitigt werden müssen.
Sie sind Hinweise darauf, dass zwei wertvolle Perspektiven gleichzeitig da sind.
Wenn wir lernen, die gute Absicht hinter jeder Position zu sehen, öffnen wir Raum für Lösungen, die reicher, vollständiger und tragfähiger sind.
Oder kurz gesagt:
Konflikte lösen sich, wenn wir das Verbindende hinter den Unterschieden erkennen.
Dann entsteht echte Zusammenarbeit – auf Augenhöhe, im gemeinsamen Interesse.
Wenn Sie spüren, dass in Ihrem Team unterschiedliche Haltungen, Werte oder Perspektiven aufeinandertreffen – und Sie diese Vielfalt konstruktiv nutzbar machen möchten – begleite ich Sie gern dabei.
Lassen Sie uns in einem ersten Gespräch gemeinsam schauen, was Ihr Team stärkt und wie ein guter nächster Schritt aussehen kann.
Ich freue mich auf den Austausch.

